Die Jusos des Unterbezirks Landsberg organisierten am 16.07.2012 eine Podiumsdiskussion in den Räumen des Mehrgenerationenhauses der AWO zum Thema Inklusion. Der Vorsitzende der Jusos, Bernd-Georg-Haugg, selbst Heilerziehungspfleger in Ausbildung, moderierte die interessante Runde. Grundlage war die erschienene UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung. Geladene Gäste auf dem Podium waren Frau Sonnenholzner (Landtagsabgeordnete), Herr Hauser (Leiter Regens Wagner Holzhausen, Sprecher Behindertenbeirat), Herr Bichler (Behindertenbeirat, Sozialstation St. Martin), Herr Bönisch (Geschäftsführer IWL LL), Frau Schaller (Grundschullehrerin, Beratungslehrerin) und als Vertreter der „Betroffenen“ Claudia Hippe (Behindertenbeirat) und Jonas Pioch (Stadtrat).
Dabei muss das Wort Betroffene unbedingt in Anführungszeichen gesetzt werden, denn „betroffen“ seien wir eigentlich alle, wie Jonas Pioch betonte. Für ihn sei Inklusion immer zweiseitig, denn Bemühungen seien auf Seiten der Nicht-Behinderten, aber auch der Behinderten notwendig. Die Diskussion begann mit einer Einführung von Herrn Bichler, der den Erfahrungsbericht einer Down-Syndrom- Betroffenen sowie die Definitionen einer Plakataktion der Lebenshilfe Wien zitierte mit dem Ergebnis, dass es bei Inklusion Behinderter primär um Teilhabe, Selbständigkeit und die Anerkennung als Mensch mit all seinen Schwächen aber vor allem auch Stärken gehe.
Zum Thema Inklusion im schulischen Rahmen wurde in den vergangenen Wochen bereits heftig diskutiert. Dabei stehen die Anforderungen und die Umsetzung der UN-Konvention der Realität an deutschen Schulen gegenüber. Bereits das dreigliedrige Schulsystem in Bayern widerspricht im Grunde genommen dem Inklusionsgedanken. Wie Frau Schaller als Beratungslehrerin feststellte, fühlten sich viele Regelschullehrer überfordert von der Aufgabe, auf Wunsch der Eltern behinderte Kinder in ihre dafür viel zu großen Klassen aufzunehmen und vor allem adäquat zu fördern. Problem sei neben den zu großen Klassen auch die Ausbildung der Grundschullehrer, die fehlende Einzelförderung der betroffenen Kinder und der finanzielle Mangel, um Klassen mit zwei Lehrkräften unterrichten zu können. Dennoch, so Schaller, sei die Inklusion beeinträchtigter Kinder in Regelschulklassen für alle Seiten eine große Chance. Erste Ansätze böten Modelle wie Kooperationsklassen und kooperative Sprachförderung, wie sie an einigen Schulen im Landkreis existieren. Dabei erhielten die Lehrer zeitweise Unterstützung durch einen Sonderpädagogen des SFZ Landsberg. Auf die Frage nach der Finanzierung weiterer Inklusionsprojekte sowie doppelt besetzter Unterrichtsstunden und Einzelförderung von Seiten der Politik, wies Frau Sonnenholzner darauf hin, dass solche Bemühungen natürlich unerlässlich seien, sie jedoch bei der seit 55 Jahren regierenden Landesregierung keine feststellen könne. Zudem wies sie auf die prekäre Situation bezüglich Hilfeleistungen, u.a. auch bei Schulassistenzen (Schulbegleitung) und Fördermaßnahmen, hin. Denn hier müssten sich Kultus-, Sozial- und Gesundheitsministerium einig werden, wer für welche finanziellen Hilfen zuständig sei, um klare Richtlinien zu geben. Von Stadtrat Christoph Jell, im Publikum, kam dazu die Anmerkung, dass ein Behinderter auch nicht immer Bittsteller sein wolle, sondern Hilfemaßnahmen selbstverständlich sein sollten. An dieser Stelle wiesen Herr Hauser und Herr Bichler auch auf die Ablösung der Zivildienstleistenden durch hauptberuflich angestellte Assistenten hin, was sie durchaus befürworten, da die im gering bezahlten Zivildienst versteckten Kosten nun offensichtlicher würden und so auch der Wert dieser wichtigen Arbeit steige. Moderator Bernd-Georg Haugg lenkte die Diskussion nun auch in Richtung öffentlicher Teilhabe und wollte von Herrn Hauser wissen, warum im Behindertenbeirat vor allem körper- jedoch keine geistig-behinderten vertreten seien. Dieser verwies auf Bemühungen in seiner Einrichtung, auch Menschen mit geistiger Behinderung mehr in ihrer Meinungsbildung zu fördern. In diesem Bereich sollte sich im Behindertenbeirat strukturell jedoch durchaus etwas ändern. Herr Bichler fuegte hinzu, dass der Behindertenbeirat nicht nur für Behinderte, sondern auch für viele andere Bevölkerungsgruppen Verbesserungen erreiche. Dabei nannte er das Pflaster in einigen Straßen der Altstadt, allgemeine Barrierefreiheit, aber auch optische Marker für Sehbehinderte und andere Maßnahmen, die z.B. auch nicht behinderten Menschen im Alter und Familien mit Kinderwagen zu Gute kämen.
Herr Bönisch warf ein, dass sich durch die Anforderungen in der UN-Konvention nun viele überfordert fühlten. Die Inklusion umfasse sehr viele Bereiche, in denen jeder andere Interessen verfolge. Der Staat müsse viel Geld in die Umsetzung investieren, könne dann aber auch viel einsparen. Dabei muss jedoch darauf geachtet werden, dass bei dem Menschenrecht das Wohlbefinden der Betroffenen nicht vergessen werde. Allgemein war man sich einig, dass dieses für jeden anders aussehe. Es müssten also Möglichkeiten der Inklusion, aber keine Zwänge geschaffen werden. Laut Bönisch sei Inklusion eine Haltungsfrage, die vor allem mit allen Menschen selbst zu tun habe. Frau Hippe pflichtete Herrn Bönisch bei und erzählte einige Geschichten aus ihrem Alltag als Blinde, der für sie oft hohe Herausforderungen mit sich bringe. Sie kritisierte dabei die ablehnende, wenig hilfsbereite und oft auch ängstliche Haltung Nicht-Behinderter ihr gegenüber. Oft fühle sie sich missverstanden oder als „dumm“ behandelt. Eine größere Offenheit und eine unkompliziertere Kommunikation miteinander wären wünschenswert.
An dieser Stelle kam eine Vielzahl an Wortmeldungen aus dem Publikum, die aus eigenen Erfahrungen über Missverständnisse und Probleme berichteten, die vor allem aus einem Mangel an Kommunikation resultierten. „Anders sein“ müsse mehr toleriert und anerkannt werden. Albert Thurner fügte an, dass dies auch andere Gruppen unserer Gesellschaft betreffe, wie z.B. Migranten, ältere Menschen, aber auch „Linkshänder“. In der Diskussion waren sich alle einig, dass noch viel für die Inklusion getan werden müsse, und dass der erste Weg eine Änderung der Einstellung zueinander sei. Joans Pioch warf ein, dass dies auf beiden Seiten erfolgen müsse und der Fokus weg von Inklusion als Problem, hin zu den Chancen „des gemeinsamen Miteinander“ gehen müsse. Dass die Inklusion an Schulen ein wichtiger Schritt sei, untereinander in Kontakt zu treten, um ein Miteinander behinderter und nicht-Behinderter zur Normalität werden zu lassen, waren sich alle einig. Bernd-Georg Haugg schloss die Diskussionsrunde mit einer kurzen Zusammenfassung und dem Hinweis, dass die aufgeschlossene Gesprächsrunde aus Podiumsgästen und Publikum aufschlussreiche Erkenntnisse liefern konnte. Ein erster Schritt zum aufeinander zugehen war damit getan, dem hoffentlich noch viele folgen werden. Um einen stetigen Dialog zu fördern.